Der Tag versprach spannend zu werden. Vor allem wegen der aktuellen Wetterlage. Sonntag, der 27. Juli, kurz vor den Sommerferien. Da stellt man sich Sonne und Wärme satt vor.
Stattdessen war bereits der Samstag wechselhaft, bewölkt und verregnet. Für den Sonntagmorgen bis zum frühen Nachmittag wurde ein zumindest niederschlagsfreies Zeitfenster prognostiziert und dieses wollten wir nutzen.
Es war allerdings damit zu rechnen, nachmittags einen ordentlichen Guss abzubekommen.
Also machten wir uns auf den Weg mit der Regionalbahn nach Wyhlen (Baden) kurz vor Basel. 9 Uhr, die Sonne blinzelte durch die Wolken. Jacke und Beinlinge wurden rasch versorgt. Kalt war es nämlich nicht.
Ausstieg in Wyhlen. Sonnig und durchaus warm. Das sah vor knapp zwei Stunden am Hochrhein bei Waldshut etwas anders aus, da regnete es noch schön vor sich hin.
So starteten wir Richtung Wasserkraftwerk, querten den Rhein und waren schon nach kurzem Weg bei der römischen Kolonie Augusta Raurica in Kaiseraugst angekommen. Ist ein Besuchermagnet, da war ich schon mal mit einem Klassenausflug, seinerzeit, vor inzwischen fünfzig Jahren. Hoppla.
Im sehenswerten Amphitheater war am Samstagabend eine Veranstaltung. Dem Vernehmen nach bei Regenwetter. Auf jeden Fall wurde am Sonntagmorgen die komplette Veranstaltungstechnik abgebaut.
Augusta Raurica, Sonntagmorgen um halb-zehn
Wir machten uns auf den Weg. Der St. Chrischona-Turm, den wir vor einigen Wochen besuchten war nun gut zu sehen. Im Westen verschwanden die beiden Roche-Tower in Basel aus unserem Blickfeld. Und im Tal tat sich vor uns die Stadt Liestal auf. Schöner angelegter Radweg bis in die aufgeräumte Altstadt.
St. Chrischona oberhalb Wyhlen und Lörrach. Grösstes Gebäude der Schweiz
Das beeindruckend mächtige Geläut der evang. Kirche erinnerte uns daran: Es ist Sonntag. Wohl dem, der schon wach war in Liestal. „Lischtl“ wie der Ort im Umgangston heißt. Nicht jeder kann mit dem eigentlichen Begriff „Liestal“ offenbar etwas anfangen.
„Ob er ein Bild von uns machen könnte?“. „Ja, klar“. Zwei Gravelbiker mit Gepäck auf der Durchreise hielten sich ebenfalls vor dem Stadttor auf. Heute soll´s für sie bis Fribourg am Röstigraben gehen. Das große Ziel sei nach einer Woche in Nizza. Na dann: Danke und viel Glück!
Achim Fischer, Achim Stoll, Roland Wissler, Martin Ruppelt vor dem Tor in Liestal
Unser nächstes Ziel war der Hauensteinpass auf 734m. Zunächst ging es im Tal weiter entlang der Waldenburgbahn, einer modernen S-Bahn. Also mit gemäßigter Steigung vorbei an Hölstein. Zwischen Niederdorf und Oberdorf gab es auf dem Radweg eine steilere Passage.
Dort quälte sich vor uns der junge Beat hoch auf einem gefühlten Dreigang-Göppel mit ausgebleichtem Lack und seinem Gepäck. Ein Schlacks mit Ähnlichkeit zu Ed Sheeran. „Wo es denn hingehen soll?“ kamen wir ins Gespräch. Oh, sein Deutsch wäre nicht so gut. Aha, ist gar kein Schweizer. Er käme aus Australien, ach was. Also nennen wir ihn halt Gary. Er sei in die Türkei geflogen und dann mit dem Zug durch Osteuropa bis Berlin getourt. Respekt.
In Berlin hätte sich Gary das „Fahrrad“ gekauft und nun fuhr er seit 14 Tagen durch Deutschland. Ist übrigens überhaupt seine erste Radtour. Ach ja, Burgdorf ist sein Ziel, dort gibt es wohl Familie. Tschüss und gutes Gelingen. Mann, mann, mann.
In Waldenburg ist Endstation der Bahnlinie. Alles schön, sauber und neu rund um den Bahnhof. Schön und irgendwie aufgeräumt war es im ganzen Tal. Am Ortausgang ging es mit zwei ersten Serpentinen los. Bei fünf, sechs, mal acht Steigungsprozenten. Mit den Serpentinen war dann schon fertig. Die Steigung blieb uns noch etwas erhalten. War gut zu fahren, auch für unseren Roland, der ohne E-Bike unterwegs war. Plötzlich waren wir da, am „oberen Hauenstein“ der Passhöhe (734m) in Langenbruck.
Auf der Passhöhe. Etwas frischer da oben aber trocken
Durch den Ort ging es etwas bergab, dann am Ortausgang der Abzweig nach Bärenwil. Ein Rennradlerpaar überholte uns. Es stieg nochmals an in interessanter, bergiger Umgebung. Bei 780m war der höchste Punkt erreicht und es folgte die wunderbare Abfahrt auf der Allerheiligenstraße vorbei an der Teufelsschlucht ins Aaretal. Da kamen uns einige Rennradfahrer entgegen, ist möglicherweise ein Hotspot für hiesige Velosportler. War auf jeden Fall ein Höhepunkt der heutigen Tour.
Nicht mehr weit bis Olten, meinte Roland schon vor 20 Km, weil wir dort eine Pause machen wollen bei Kaffee und Vesper. Wer halt mag. Joachim hatte uns zum Kaffee eingeladen, vielen Dank!
Altstadt Olten, zufällig farblich passend zu Roland´s Radshirt.
Die gedeckte Holzbrücke in Olten mit ihren bunten Fahnen ist immer eine Durchfahrt wert. Wieder warm geworden im Tal. Die Sonne schien, mal kurz, mal etwas länger. Alles bestens. Und das bei den gedämpften Erwartungen.
Gedeckte Holzbrücke in Olten. Sehr schön. Achim, Achim und Roland. Von rechts gesehen.
Allerdings, in unserem Rücken sah es schon bedenklich dunkler aus, bei angenehmem Rückenwind. Etwa 10 Km voraus zog gerade ein ausgewachsenes Gewitter mit reichlich grauen Regenschwaden vorbei. Irgendwo zwischen Olten und Aarau fing es dann tatsächlich an zu tröpfeln. Wir standen kurz unter und überlegten, welche „Regenreifen“ wir wohl aufziehen würden. Jetzt war es vorbei mit der Schonfrist, im wahrsten Sinne des Wortes. So dachten wir.
Aber wir hatten jetzt Glück, richtig Glück! Es blieb bei den drei Tropfen, vorerst. Wir fuhren weiter, ohne Regen, ohne Regenkombi, gefühlt im Windschatten der Gewitterzelle, sozusagen im „Gewitterschatten“.
Weil, überall wo wir hinkamen, war es nass, richtig nass. Auf der Straße, auf den abschüssigen Waldwegen kamen uns kleine Bäche entgegen oder verfolgten uns. Nicht lange bis Aarau und dort schien die Sonne wieder vom Feinsten, obwohl alles noch nass. In der tollen Aarauer Altstadt trockneten die Gastronomen die Tische erneut ab für die erwarteten Gäste.
Das Stadttor in Aarau
Wir rechneten nun viertelstündlich damit, dass wir aus irgendeiner Richtung von einem starken, kurzen oder längeren Schauer heimgesucht würden und gaben nun bis Brugg reichlich Zwischengas jenseits der 30Km/h, kein Witz. Rückenwind und ein sehr guter Belag auf dem Radstreifen machten das möglich. Das hatte die Vorteile, dass wir einige Kilometer vom Tacho nahmen und entsprechend weniger im Regen fahren würden. Und die Akkus der E-Bikes wurden geschont (ab 25 Km/h hilft der Motor nicht mehr).
Beim Schloß Wildegg machten wir noch einen Schlenker mit einem kurzen Bergpreis. Hier war ganz schön was los und das bei Sonne und eben schöner Aussicht auf das gegenüber liegende Schloss Lenzburg. Zum längeren Anhalten konnten wir uns aber nicht durchringen.
Brugg selbst haben wir über Windisch umfahren und standen plötzlich in den steinernen Überresten des Amphitheaters des römischen Legionslager Vindonissa. Die ovale Anlage wurde seinerzeit mit Holz überbaut und bot Platz für max. 9000 Zuschauer (wikipedia).
Der weitere Weg führte durch Gebenstorf und Turgi. Diese Region ist die Westentasche von unserem Achim Stoll, der uns hier führte. Ich selbst bin hier noch nie gewesen. Nach der Aare überquerten wir nun die Reuss und die Limmat, die gut Wasser mitbrachten. So ging es über Siggentahl, Würenlingen und Döttingen bis Koblenz. Und immer noch wurden wir Glücklichen von Niederschlägen verschont.
Ein nachdenklicher Roland äußerte bei Würenligen im Spaß kurz seine "Bedenken": „Ich glaube der Achim mag mich heute nicht“. Hintergrund war eine nicht zwingend nötige Abkürzung durch die Wälder am Rande von Würenlingen, die erkauft wurde mit giftigen Höhenmetern auf nassen Forstwegen, deren Sinn sich dem sehr gut fahrenden Bio-Biker nicht sofort erschloss. Der gemeine E-Biker - also wir e-motorisierten - denken über solche Kleinigkeiten halt gar nicht mehr nach. War ja auch nicht lang, außer dem gibt es solche kurzen Rampen in unseren Breiten altenhalben. Alles halb so wild.
Ja, wider Erwarten sind wir den ganzen Tag trocken und mit Rückenwind gefahren. Das kann man mal so machen. Wir haben heute dem Regenradar von MeteoSwiss vertraut und dazu am Nachmittag richtig Glück gehabt und im Ganzen eine schöne Tour dazu.
Höhenpunkte waren für mich das Tal ab Liestal über Waldenburg bis zum „Oberen Hauenstein-Pass“, weiter hoch bis Bärenwil und die unerwartet wunderschöne Abfahrt auf der schmalen Straße in der Teufelsschlucht. Alles bisher unbekanntes und unentdecktes Terrain. Aarau wäre einen längeren Aufenthalt Wert gewesen, hatte ich so nicht auf dem Schirm.
Nach der Rheinbrückenüberfahrt von Koblenz nach Waldshut gönnten wir uns noch ein gemeinsames kaltes Erfrischungsgetränk beim Griechen im Siedlerheim. Vielen Dank auch hier an den Spender Achim F. aus W.!
Roland und ich machten uns bald und rasch auf. 10 Km Heimweg erwarteten uns noch bis Lauchringen und von Westen zog eine üble Gewitterfront zügig heran. Der Regenradar konnte nichts Gutes voraussagen. Ob wir das trocken schaffen können? Der starke Westwind spielte uns in die Karten, dem dunklen Gewölk allerdings auch. Mit dem Wind im Rücken und dem Roland im Windschatten wurde es eine tolle, rassige Heimfahrt UND: Wir haben es trocken geschafft, ziemlich knapp.
Keinen einzigen Regenguss haben wir abgekommen, die Räder und die Schuhe sahen aber aus, als wären sie den ganzen Tag im Regen unterwegs gewesen. Etwas über 100 Km sind wir gefahren bei rund 1160 Höhenmetern, die wir heute über diese Distanz einfach "weg geatmet" haben. Schön war´s und spannend sowieso – wieder einmal.
Die Staustufe Augst/Wyhlen am Rhein umfasst die Laufwasserkraftwerke Augst und Wyhlen sowie die Schleuse Augst. Sind offenbar zwei Kraftwerke.
Achim Fischer auf der Passhöhe "Oberer Hauenstein"
Achim Stoll ebenfalls auf der Passhöhe
Teilnehmer
Achim Stoll, Achim Fischer, Roland Wissler, Martin Ruppelt
Touren-Klassifikation = XL+
XL steht heute für die Strecke von 104 Km (bis WT) bzw. 114 Km (bis LA)+ steht für die Höhenmeter, von denen es heute 1160 gab.
| Legende zur Tourengröße |
| M = bis 40 KM | L = bis 80 KM | XL = bis 120 KM | XXL = größer 120 KM |
| + = größer 1000HM | ++ = größer 2000HM |